Esse 850 bei der Kieler Woche
01. September 2024
Erneut hat Patrik Heinrichs aus Berlin mit seiner Esse 850 „JYNX“ Hochsee-Tauglichkeit bewiesen. Als „Schrecken der Seesegler“ gewann er mit seiner Crew mehrere Regatten auf der Ostsee und nahm auch an der Kieler Woche teil. Hier sein Bericht.

Nach der Winterpause und umfangreichen Vorbereitungen testete ich meine Esse 850 „JNYX“ zehn Tage auf dem Wannsee, bevor wir einen Tag vor Himmelfahrt in Strande bei Kiel in die Ostsee wasserten. Ziel war es, „ein wenig zu segeln und das Boot die rund 70 Meilen zur ersten Regatta nach Travemünde zu bringen“ – gaaanz ruhig natürlich!
Na ja, was soll ich sagen – nach einem seeehr flauen Himmelfahrtsdonnerstag blies es eine Woche lang ununterbrochen aus Ost, die Richtung, in die wir wollten. Da ich auch noch das „Offshore“-Grosssegel samt Baum angeschlagen hatte, konnte ich gleich die Starkwindeigenschaften mit allen Reffs gegen den Wind auskosten, aber es brachte auch nützliche Erkenntnisse zum Thema „wie bändige ich meine überpowerte Esse 850 bei 20-25 Knoten an der Kreuz“ – das sollte sich noch auszahlen.
In Travemünde angekommen fand sich per glücklicher Fügung ein neues Crewmitglied in „Surfer Holgi“, der mit seinen trainierten Muskeln und sehr gutem Lebendgewicht auf der Kante genauso viel an den folgenden Erfolgen teilhatte wie er mit seiner ruhigen und lernbegierigen Art immer besser wurde – echter Leistungssportler eben.

Die Brassfahrt (www.brassfahrt.de) mit über 70 Booten am Start wurde, in den üblichen 5-Fuss-Längenklassen vergütungslos und nur auf max. Speed gewertet, am Freitagmittag doublehand gestartet. Es ging an der Kreuz etwas über 30 Meilen von Travemünde erstmal nach Fehmarn. Bei 20-25 Knoten und „überfreibordhoher“ Ostseewelle ging es nach nach einem kurzen Gennistart sieben Stunden gegenan, wobei die Konkurrenz uns trotz 1. Reff nicht folgen konnte.
Nach knapp drei Stunden hatten wir mit der Melges 24 von Silverrudder-Gewinner Matthis Franken und Crew auch das letzte der 30 Minuten vor uns gestarteten Boote eingeholt und führten die Flotte aus der Lübecker Bucht heraus nach Nordosten. Dann ging es 18 Meilen rüber an die ehemals ostdeutsche Küste nach Kühlungsborn, bei immer noch sportlichen 18-20 Knoten Wind. Leider war es für den Genni zu spitz und so holten wir unsere Allzweckwaffe, den Code 0,5 (kleiner Code 0, der auch zum Upwindsegeln bei unter 5 Knoten verwendet wird).
Der Speed ging wieder auf über 10 Knoten, aber nach der Hälfte der Strecke war es dann doch zu spitz (oder zu windig) und wir mussten ihn wieder gegen die Fock tauschen. Es wurde langsam dunkel und ein paar der grossen Boote mit deutlich mehr Wasserlinienlänge schlichen sich von hinten an.
Kurz vor Mitternacht und zwei Meilen vor der Wendemarke stellte Poseidon den Wind einfach mal ab, aber leider nicht die Welle, und so schaukelten wir uns bei 2-4 Knoten Wind und teils schlagendem Gross auf die nahe Küste zu.
Wobei wir mit dem leichten Boot und ob der grosszügigen Segelfläche noch ganz gut bedient waren, aber unser meilenlanger Vorsprung aus den letzten 12 Stunden schmolz wie Schnee in der Julisonne.
An der Wendemarke waren wir dann wieder alle zusammen und parkten unter Gennaker bei 0,5 Knoten BSP für 2,5 Stunden ein, bis wir uns unter der Flautenblase herausgearbeitet hatten. Danach kamen dann anstrengende 3 Stunden harter Raumschotsegelei bei wechselhaftem Wind, um uns von den Gegnern zu „befreien“ und dann die letzten 10 Meilen nach Travemünde wieder an der Spitze die Regatta als Sieger ins Ziel zu bringen. Der erste Sieg war also eingefahren!

Drei Wochen später wollte Holger noch mehr segeln, und so traten wir bei der neuen Grömitzer Doublehandregatta an. Diesmal allerdings mit verschärften Vorzeichen, denn ob der Einordnung der Esse 850 als „Offshore-Schnellboot“ mussten wir nach Yardstick-Vergütung gegen X 4.0, Dehler 38c und ähnliche Kaliber in unserer Gruppe der Schnellsten antreten.
Also einen perfekten Start am Pinend hingelegt und erstmal „von Vorne“ das Feld versucht in Schach zu halten. Das ging natürlich nur bedingt lange gut, und so hängten wir uns an die beiden Schnellsten 8 Meilen lang upwind dran bis es etwas „ruhiger“ wurde, um dann bei 6-8 Knoten immer noch an der Kreuz nach Neustadt i.H. zuzuschlagen und die Führung knapp an der Tonne zu übernehmen. Die nächsten 12 Meilen unter Genni waren dann „Esse-Zeit“ – wir sammelten die vor uns gestarteten Gruppen ein und übernahmen die Gesamtführung bei inzwischen wieder 16-20 Knoten Wind.
Nach weiteren 4 Meilen Wind, wo die Grossen natürlich ob der Welle wieder schneller waren, kam ein Halbwindgang, leider ohne fliegende Segel und somit wenig „Esse-Potential“ aber wir gaben auch nichts ab. Allerdings wurde dann die folgende Kreuz von 9 Meilen bei 20 Knoten doch „etwas schmerzhaft“, als auch noch eine 44-Fuss-S+S-Swan (allerdings auch supergepimt) in Luv vorbeizog, aber 16 Fuss mehr und ein schöner fetter S-Spant bei Wind und Welle von vorne sind eben schwer zu schlagen.
Unsere Hoffnung lag daher auf dem letzten, 5 Meilen langen Downwinder.
An vierter Stelle also die Blase gezogen und wir flogen wieder los und waren nach der Hälfte auf Position 2 mit Luft nach hinten und die X 4.0 kam auch wieder näher. Leider ging dann die Blase runter und der Kurs wieder mit 60 Grad TWA weiter.
Allerdings brauten sich vor uns auf dem Weg nach Grömitz dunkle Wolken zusammen – und innerhalb von 10 Sekunden verdoppelte sich die Windstärke auf satte 35 Knoten, das Boot schüttelte sich mit dem gesamten Rigg. Noch zwei Meilen bis zur Wendemarke vor dem Hafen und es blies immer noch mit 30 plus. Wir versuchten über Funk die Wettfahrtleitung zu erreichen, ob der Kurs eventuell verkürzt würde. Nach dem dritten Anruf kam plötzlich ein „…wir brechen ab“! Wir waren frustriert. Wollten sie wirklich nach neun Stunden die Wettfahrt abbrechen? Inzwischen waren wir so nah an der Wendemarke, dass wir die Flagge „S“ auf dem Zielschiff erkannten und nur noch ein kurzes Stück bis zum Ziel vor dem Hafen fuhren.
Der Rest der Flotte schaffte es dann noch mit kleineren Verlusten in den nächsten 2,5 Stunden ins Ziel – und wir hatten auch nach Verrechnung gewonnen, gegen die wirklich Grossen (längenmässig gesehen). Am nächsten Tag nahmen wir den neuen Wanderpreis entgegen.

Ich musste an selben Tag allerdings noch weiter, zurück Richtung Kiel. Denn fünf Tage später wartete schon die Aerö Rund mit einer Rekordflotte von über 150 Booten. Das Wetter sagte einen sehr schnellen 33 Meilen Gennikurs von Strande in den Norden von Aerö voraus, und von dort noch eine 10 Meilen lange Kreuz nach Aerosköbing. Machen wir es kurz: „JYNX“ im Solomode mit mir unter Genni, und obwohl die ORC-Gruppe den letzten Start hatte, wurden die 130 Boote vor uns sukzessive eingesammelt – bis nachts um 12 kein Hecklicht mehr vor mir zu sehen war, aber 150 grüne Lichter hinter mir! Das letzte überholte Boot war eine SWAN 53! Als viertes Boot über die Linie und die Hinregatta war im Sack.
Nach ausgiebiger Erholung in Marstall und der Siegerehrung stand Sonntag die Rückregatta an. Bei 12 Knoten Wind (allerdings mehr oder weniger von vorne) konnten wir mit einem perfekten Steuerbordstart erstmal unsere Gruppe anführen und so langsam bei abnehmendem Wind zu den vor uns gestarteten aufschliessen. Der Wind flaute ab und wir kämpften uns in einer Gruppe mit einer Sunfast 3600 und einer schnellen Class 9.50 zum Gate nach 10 Meilen. Irgendwann kam der Code 0.5 raus und die Esse spielte ihre Vorzüge aus! Leider erwischte ich einen so nicht von den Wetterfröschen vorhergesagten 80-Grad-Linksdreher auf der „Aussenbahn“ und fuhr somit „etwas mehr Weg“, allerdings immerhin als Anlieger. Also wieder ein paar potentielle Überholungsopfer VOR uns. Der Wind nahm auf 2-3 Knoten ab und wir schoben uns auf direktem Weg zum Ziel bei 3 Knoten BSP an den Gegnern in Lee vorbei auf die immerhin schon vierte Gesamtposition und es waren nur noch 5 Meilen.
Und dann gab es nochmal die Sonntagsziehung in der Windlotterie und die Schauerzelle, die links ohne Wirkung am Feld vorbei gezogen war, kam von hinten zurück und schob in Luv das gesamte zusammen und vorbei! Der Anlieger wurde, als ich dann als letzter den Wind endlich auch bekam, auch noch zur Kreuz und aus dem sicheren 1. Gesamtplatz wurde dann „nur noch“ ein 2. Gruppenplatz.

Eine Woche später war Kieler-Woche-Zeit und Holger wieder mit an Bord. Die Kieler Woche beginnt traditionsgemäss mit der Aalregatta für die Seeschiffe vor dem alten Olympiahafen in der Stadt in Kiel, damit die „Sehleute“ auch mal was zu gucken haben. Wie so oft auch diesmal mit einem flotten Raumschotstart. Ob unserer ORC-Vermessung und der kleinen CDL sortierte man uns in ORC 4 ein, was natürlich dazu führte, dass wir mit vielen kleineren Gegnern an der Linie waren. Nur die Franzosen mit einer federleichten MACH 650 und sehr schicken Polyant-TyraPly-Segeln konnten uns speedmässig gefährlich werden. Also Blase beim Startschuss hoch und ab ging die Post mit zweistelligen Zahlen auf dem Speedo.
Leider hat sich der Ring unseres Gennis dann spektakulär getrennt, bei 13,5 Knoten BSP. Also Genni achteraus und erstmal einsammeln. Später dann den Code als Ersatz gesetzt und bei zunehmend 25 Knoten Wind den Franzosen hinterher gehetzt zur Wendemarke draussen auf der Kieler Förde. Noch so einige der grösseren „Kielyachten“ bei einem Sonnenschussfest eingesammelt, um die Tonne an den Wind – und da waren sie wieder, die 30 Knoten am Wind, die wir diese Saison schon so oft gehabt haben. Dazu noch eine „gepflegte Ein-Meter-Welle“ und schon waren wir wieder raus aus der Wohlfühlzone! Das Main schlug jämmerlich und das Boot fuhr schon wieder im U-Bootmodus durch die Wellen. Also das Reff rein und es wurde besser. Allerdings waren es noch 18 Meilen am und gegen den Wind nach Eckernförde. Sechs Meilen vor dem Ziel wurde das Wasser durch den Landeinfluss etwas glatter und wir fingen wieder an zu laufen und sammelten wieder grössere Boote ein wie X35 und andere. Letztendlich schlugen wir die Franzosen berechnet und gewannen dann doch die Aalregatta (so genannt weil jeder, der ankommt, erstmal einen Räucheraal bekommt).

Die Rückregatta nach Kiel-Schilksee war dann doch mehr nach dem Geschmack der Raumschot-Schnellsegel-Fraktion. Wir hatten wieder den letzten ORC-Start und reichlich grössere Boote vor uns um etwaige Flautenlöcher zu markieren, denn es wehte nur so mit 6-8 Knoten von schräg hinten.
Leider war unser spektakuläre Steuerbord Start noch nicht so von Erfolg gekrönt, da Holger und ich zusammen das Spifall beim anschlagen einmal ums Vorstag gelegt hatten. Aber das schöne an Langstrecken ist ja, dass man Zeit hat, um verlorenen Boden gut zu machen – und so „lutschten“ wir uns Halse um Halse wieder an die Spitze der Gruppe und zeigten auch unseren französischen Schnellseglern, wie performant so ein Schweizer Schnellsegelboot sein kann.
Gute Positionierung und überlegener Speed mit unserem Genni schoben uns auf den letzen Meilen zur Halsenmarke nach und nach durch das ganze ORC Feld der grösseren Yachten und einige schimpften schon beim „Überholtwerden“ wir sollten doch „den Motor ausmachen“.
Um die Tonne und bei wieder etwas auflebendem Wind 8 Meilen Richtung Gabelsflach bei 140 Grad TWA was soll ich sagen, glattes Wasser und wir schnappten uns noch ein paar 40 Füsser…
Dann noch eine kurze 2,5 Meilen Kreuz Ziel am Kieler Leuchtturm und der Gesamtsieg über alle ORC Boote war berechnet unser auch wenn wir „nur“ in der doublehand Klasse zumausgezeichnet wurden.
Die letzte Regatta der Kieler Woche war dann der zweigeteilte Senatspreis, diesmal nicht nach Schleimünde, wo seit der Sturmflut im letzten Herbst noch immer nicht alles wieder aufgebaut war, sondern ins 35 Meilen entfernte Hörup Havn im Dänemark.
Die Bedingungen waren endlich mal sommerlich „ruhig“ und es ging mit Genakerstart bei 7-8 Knoten 6 Meilen Richtung Damp. Von da aus eher so am Wind mit teilweise leichtem Schrick noch Norden die Küstenlinie lang 18 Meilen, auf denen dann um jedes Zehntel Boatspeed gekämpft wurde, zum Schluss kurz vor der Flensburger Förde sogar mit Code 0.
Wir lagen bei unseren Sahnebedingungen an der Spitze und kämpften Boot gegen Boot mit einer JPK 10.30, die berechnet deutlich schneller sein musste.

Dann an der Aussenförde abgefallen und den Genni gezogen wurde der Wind ein wenig „wechselhaft“ mit Löchern und die 6 Meilen Richtung Sonderburg wurden zur Schwerstarbeit für die Taktikabteilung. Unter der dänischen Küste sah es etwas besser aus und nachdem die hinteren erstaufgeholt hatten, kam mit der letzten Halse der grosse Wurf und die JPK 10.30 die weiter in der Fördemitte positioniert war wurde entscheidend geschlagen und lag im Ziel gut 5 Minuten gesegelt hinten.
Also Sieg im ersten Teil, aber der nächste Tag sollte Wind von vorne bringen – und bis auf eine Meile nach dem Start, wo wir unter Code 0 dem Feld davon flogen ging es nur noch Upwind zunächst 8 Meilen aus der Flensburger Förde und die Konkurrenz, die 6-8 Fuss länger war, machte keine Gefangenen. Dann 20 Meilen am Wind bis zum Schwedeneck, wo ein Versuch mit dem Code 0, etwas Boden gutzumachen, leider durch den Handlingnachteil beim Bergen wieder aufgefressen wurde.
Nochmal 5 Meilen bei 18-20 Knoten und fieser Stollergrundwelle gegenan und der Vorteil der drei anderen (J97, First 34.7 und J99) war zu offensichtlich. Hinterm Kieler Leuchtturm ging es dann noch 4 Meilen in die Förde zum Ziel, aber erstens war es etwas zu spitz für den A3 und zweitens war der Akku auch nach 8 Stunden hängen im Gurt „etwas“ leer. So wurden die Wellen mit dem Gross noch etwas angepumpt und das Beste aus der Situation gemacht, damit reicht es an diesem Tag noch zu einem berechneten 4. Platz und gesamt doch noch zum 2. Ist ja auch nicht schlecht nach lauter Regattasiegen in diesem Frühjahr.
Fazit: JYNX und die Esse 850 sind jetzt als Offshore-Schreck an der Küste bekannt, das Boot hat noch ein paar Stellen, an denen bei rauhen Bedingungen Wasser rein kommt (wenn die Wellen höher als das Freibord werden) – aber sobald ein fliegendes Segel vorne hochkommt wird die Zahl der Gegner seeehr klein!